Das Kloster Hilwartshausen (gegr. 960)

seine baugeschichtlichen und spirituellen Spuren in und um Hilwartshausen und Gimte

Eine adelige Witwe namens Aeddila schenkte nach dem Tod ihrer Kinder mit Zustimmung ihrer verbliebenen Erben Hof, Geschirr, Grund und Boden in Hilwartshausen der Kirche.

Kaiser Otto I. verfügte am 12.2.960, „von dem aufrichtigen Willen beseelt, etwas zu tun aus Liebe zu Gott und um des Heiles unserer eigenen Seele willen wie auch den Seelen der vorher erwähnten Matrone und ihrer Miterben, eine Junfrauenkongregation in Hilwartshausen anzusiedeln“ (Stiftungsurkunde, Niedersächsisches Staatsarchiv Hannover).

Hilwartshausen-Schnecke
Foto: Bernd Vogel

Die dafür gebaute Klosterkirche
war dem urchristlichen Märtyrer Stephanus geweiht und ist
im 30-jährigen Krieg verfallen.
Von ihr gibt es nur noch ein paar Spuren im Garten des Klostergutshofes in Hilwartshausen:
Eine kleine Säule mit hübschem Kapitell, ein Säulenteil, das vielleicht einmal das Taufbecken trug (jetzt unter einer Tischplatte) und ein paar hundert Steine, die wahrscheinlich im 18. Jahrhundert als Teil eines Barockgartens zu einem romantisch wirkenden „Schneckenturm“ verbaut wurden.

Hilwartshausen-Turm
Foto: Bernd Vogel

Wohl im frühen 13. Jahrhundert wurde eine kleine gotische Kapelle im Randbereich des Klosters in der Nähe der heute noch stehenden gotischen Klosterscheune (Treppengiebel) gebaut, die den Einwohnern der Dorfschaften Gimte und Volkmarshausen zum Gottesdienst und zur Beerdigung ihrer Toten zur Verfügung stand.

Diese kleine Kirche wurde dem Apostel Petrus geweiht, der auch als Patron der Fischer angerufen wurde - möglicherweise ein Hinweis auf einen Erwerbszweig der Gimter, die kleine Bauern und Fischer waren.

Während die große Klosterkirche mit dem Niedergang der Augustinerinnenkongregation und nach dem 30-jährigen Krieg endgültig zerfiel, wurde die kleine Peterskirche um 1680 herum in einem gotisch-barocken Mischstil renoviert.

Schon vorher - 1612 - war sie in den Besitz der letzten Nonnen von Hilwartshausen übergegangen, die ersatzweise ihre alte Marienkapelle auf der anderen Weserseite den Gimtern und Volkmarshäusern gaben („Kirchentausch“ 1612). In der Peterskirche steht das lange als Blumenschale und Feuerstelle mißbrauchte Taufbecken aus der großen Stephanuskirche. In diesem Taufbecken - und damit in der großen Kirche im für die Gemeinde vorgesehenen westlichen Teil - sind wahrscheinlich bis zum Ausbau der Gimter Marienkapelle zur Marienkirche die Gimter, Hilwartshäuser und Volkmarshäuser getauft worden!

Die der Maria geweihte Kapelle in Gimte ist wahrscheinlich 1006 (oder 1007 ? Damals wurde dem Kloster erneut Gimter Land geschenkt) erbaut worden. Die Fundamente aus dieser Zeit liegen heute unter der wahrscheinlich im frühen 13. Jahrhundert gebauten Marienkirche, die zwar gotische Formen aufweist (Fenster, hohe Proportionen), aber zugleich den Geist der Romanik noch ahnen lässt. 1610/12 ließ Äbtissin Dorothea Stoffregen die Gimter Kapelle um einen größeren und höheren Anbau nach Westen hin verlängern.

Turmkugel
Foto: Bernd Vogel

1674 wurde - vielleicht im Gefolge der Restaurationsarbeiten an der Peterskirche in Hilwartshausen - deren Turmbekrönung mit Bleikugel und Bleikreuz (zwei Querarme, die wiederum als Kreuze gestaltet sind, auch erzbischöfliches Kreuz genannt, Verweis auf das für Hilwartshausen zuständige Erzbistum Mainz?) auf die Gimter Kirche transferiert.
Auf der kürzlich wegen Restaurationsarbeiten abgenommenen Kugel steht eingraviert „ex templo St. Petri Hilwardeshausen - 1674“. Zu sehen sind auch diverse Symbole. Kugel und Kreuz sind sehr alt und ein weiteres bauliches und - wer so will - spirituell bedeutsames - Verbindungsglied zwischen Kloster Hilwartshausen und den Ortschaften Gimte und Volkmarshausen.

In der Gimter Kirche sind, wie in der etwa gleich alten Laurentiuskapelle in Altmünden, die Längenproportionen zwischen Kapelle und Anbau fast 1:1 - eine ungewöhnliche Proportion, die vielleicht spirituell gedeutet werden kann:

Laurentiusruine
Laurentiuskapelle in Altmünden, um 1000 gebaut, nach dem 30-jährigen Krieg Steinbruch zur Reparatur von St. Blasius und St. Aegidien in der Stadt Münden.

Die ehemalige Kapelle (jetzt unverhältnismäßig langer Chor) und das neuere Kirchenschiff betonen mit ihrer baulichen Vergleichbarkeit die schöpferisch spannende Gleichberechtigung von „Heiligem“ und „Weltlichem“, von „Kloster“ (Nonnenkapelle) und „Gemeinde“ (Kirchenschiff). Wie in romanischen Prozessionsdomen zieht es den Eintretenden über den Alltag hinaus nach vorne ins „Allerheiligste“ (Absatz zum jetzigen Chor als symbolischer Lettner) - zugleich aber wird baulich und spirituell akzeptiert, dass - im reformatorischen Sinn - die Versammlung der Gemeinde (im Kirchenschiff) „heilig“ ist. Oder inkarnationstheologisch gesagt:
Gott wird in Jesus Mensch - das bedeutet konsequent gedacht auch, dass Gott mitten im Alltäglichen „Mensch“ werden will und Mensch wird, wo immer Glaube, Hoffnung und Liebe spürbar werden und Menschen zu vertrauen, zu glauben wagen, auch über das Spürbare hinaus.

Von einer solchen „inkarnatorischen“ (fleischgewordenen Liebe Gottes) Spiritualität spricht in der Gimter Marienkirche auch der sensationelle Fund eines eichenhölzernen Jesuskopfes.

Jesuskopf
Foto: Bernd Vogel

Stammt dieser ernste und zugleich unendlich barmherzige Jesus von einem Kruzifixus, das etwa vom 13. Jahrhundert an auf dem oder hinter dem alten Altar der Gimter Marienkapelle gestanden hat?

Ist er auf den Dachboden des Turmes gewandert, als 1688 der von Johann Daniel Sarrazin gemalte und gestaltete barocke Altaraufsatz in die Kirche kam?

Ist er als einziges Teil eines Kruzifix vor dem Verfall bewahrt geblieben, weil er unter trockenem Staub lag - freigelegt durch umsichtige Handwerker, die den Dachboden säubern mussten?

Vermutungen.
Genauere Untersuchungen stehen aus. Vielleicht werden wir sein Alter und seine Funktion nie genau erfahren.

Seiner Wirkung tut das keinen Abbruch.
 

Bernd Vogel

Foto: Antje Ibbeken-Henn